Selbstwert

"Ich bin nichts. Ich kann nichts. Ich bin nicht mal Dreck wert. Ich habe nichts erreicht. Ich werde nie etwas erreichen. Ich bin Niemand. Ein Nichts." = Grundgefühl eines Leben als Borderline-Betroffener. Abwertung, Selbsthass, Unsicherheit, Wut auf sich selbst. Angst zu versagen, nicht mehr geliebt zu werden. Alltag für einen Betroffenen. Diese Gefühle sitzen so fest und tief in der Essenz des Seins, der eigenen Persönlichkeit, dass es keine Frage von Zuspruch und einfach "mit Liebe überschütten" ist, um dieses Unkraut mit Stil und Stengel auszureißen. Das ist so hartnäckig wie Giersch, ein bei allen Gärtnern gefürchtestes Kraut. Man zieht es an einem Ende vom Garten raus und es kommt plopp scheinbar am anderen Ende wieder raus. Man muss jedes Stückchen Wurzel entfernen und dabei sind die so tief und halten sich so verbissen, dass man kaum eine Chance hat. Da hilft es nicht, sich liebevoll um andere Teile des Gartens zu kümmern. Man muss an die Wurzel.

 

Boderline und Beziehung

 

Eine so tiefsitzende Abwertung der eigenen Person hat natürlich auch eine Auswirklung auf die Beziehungen im Außen. Das Gefühl, niemand kann es ernst meinen, das Misstrauen, doch wieder enttäuscht zu werden, weil man es ja gar nicht anders verdient hat, kann man nicht über schöne Worte kompensieren. Da hilft leider kein "du bist wertvoll" oder "ich liebe dich". Die Veränderung muss ganz grundsätzlich in der Gefühlswelt stattfinden und darüber passt sich die Gedankenwelt an. Der Borderline-Betroffene muss sozusagen "nachreifen". Das kann nur in einem sicheren Umfeld mit stabilen Beziehungen stattfinden.

 

Glaubenssätze

 

Das Ziel dieses Moduls ist es, die Wahrnehmung auf die Stellen zu richten, an denen man seine Eigenwahrnehmung blockiert bzw. sie auf der anderen Seite auch nie erfahren hat. Gerade wenn Kinder vernachlässigt werden, können sie nur ganz schwer ein positives Eigenbild ausbilden, da man ihnen das Gefühl vermittelt, sie hätten keinen Wert. In der Psyche bilden sich Glaubenssätze. "ich bin nichts wert" ist ein solcher negativer Glaubenssatz.

 

Glaubenssätze helfen uns bei der Navigation durchs Leben. Wenn ich weiß, ich kann einen Subaru fahren, glaube ich, ich kann auch einen BMW fahren. Ich traue es mir zu, ich probiere es aus. Glaubenssätze entstehen also aus der Erfahrung heraus. Wenn ich weiß, ich habe das Abitur mit sehr gut geschafft, glaube ich, dass ich auch ein Studium schaffen kann. Bei Borderline-Betroffenen ist diese Wahrnehmung massiv gestört, weil sie ihren eigenen Erfolg immer wieder hinterfragen. So ist es dann ein Zufall oder die Prüfung war zu einfach. Also ist das Studium eine ungewisse Herausforderung.

 

Ähnliches im Bereich der Beziehungen. Stellen wir uns vor, jemand ohne diese Persönlichkeitsstörung wird im Bus angestarrt. Man schaut mal an sich runter, überlegt, ob man etwas merkwürdiges getan hat, aber das Interesse am Verhalten des anderen lässt schnell nach, man schüttelt es ab. Nicht so ein Borderline-Betroffener. Der fühlt sich massiv verunsichert, hält es für eine Bestätigung, dass mit ihm etwas nicht stimmt. Es kommen Gefühle von Scham und Angst nach oben, Wut. Man ist verunsichert. Und diese Gefühlen halten sich, manchmal den ganzen Tag, manchmal länger. Man kann es nicht abschütteln, es schwelt im Inneren und die Gedanken kehren immer wieder zu diesem Moment zurück.

 

Betroffene haben viele negative Glaubenssätze, die stark ineinander verwoben sind. Darum kommt man oft mit Worten und kleinen Gesten nicht durch. Glaubenssätze sind die Autobahnen in unserem Gehirn. Einmal gelernt, wenden wir sie an. Immer und immer wieder. Ändern lassen sie sich nur mit großem Kraftaufwand und durch wiederholtes neues Erlernen.

 

Es ist nie eine Frage von "kapier das doch endlich mal", da es kein kognitiver Vorgang ist. Die Herausforderung liegt darin, immer wieder die gleiche positive Erfahrung machen zu können. Denn hier müssen sich neuronale Muster im Gehirn ändern und nicht einfach nur Gedanken, negative Überzeugungen. Dazu braucht man ein entsprechend stabiles Gegenüber mit sehr viel Geduld.

 

Diese Glaubenssätze können sich nur durch Erfahrungen verändern, denn ebenso sind sie ja entstanden. Dazu muss man den Mut haben, sich auf diese Erfahrungen einzulassen, man muss alten Schmerz loslassen wollen/können und bereit sein, mit sich selbst Frieden zu schließen, sich zu verzeihen. Es ist schmerzhaft zu sehen, wie viel man durch das eigene Verhalten in der Vergangenheit verpasst hat oder gar kaputt gemacht hat. An der Stelle muss man so eine Art Waffenstillstand mit sich selbst schließen.

 

Borderline und tiefes Mitgefühl

 

Der Borderline-Betroffene ist oft hochsensibel, kann sich gut in andere Menschen eindenken, versteht dessen Verzweiflung und Schmerz. Tiefes Mitgefühl ist ihm also nicht fremd.

 

Nur sich selbst kann er dieses Mitgefühl nicht geben. Da steht zu der der Hass auf sich selbst im Vordergrund.

 

Über das Mitgefühl mit sich selbst aber kann man letztendlich seinen Selbstwert erkennen. Es stehen nicht mehr länger die Fehler und Unzulänglichkeiten im Vordergrund, sondern der Blick richtet sich auf die Verletzlichkeit des eigenen Ichs.

 

Das ist ein langer Weg, Wenn jemand tief und fest davon überzeugt ist, er kann nicht schwimmen, wie bringt man sich selbst dann das Schwimmen bei? Nur wenn man Lebensmüde ist, springt man auf hoher See über Bord und schaut mal, was passiert. Die Herausforderung Selbstliebe zu entwickeln, ist für einen Borderline-Betroffenen kaum geringer. Die meisten brauchen jemanden, der einen abholt, mit dem Wasser vertraut macht und Übungen im seichten Gewässer anregt. Es geht darum, Sicherheit aufzubauen. Grundlage jeder Sicherheit ist immer Verlässlichkeit.

 

Das habe ich noch nie vorher versucht.

Also bin ich völlig sicher, dass ich es schaffe!

Pippi Langstrumpf-Glaubenssatz 

 

Selbstwert

Welchen Wert hat ein Mensch? Welchen Wert hat das Ich?

 

Reicht es nicht einfach aus, Mensch zu sein? Erfahrungen sammeln, sich einfach mal umschauen, was das Leben so zu bieten hat?

 

Was ist Erfolg?

 

Wo und wann fühlen wir uns wirklich zufrieden? Wann können wir sagen: "Das war ein gutes Tageswerk!"?

 

 

 

 

In der Politik des Lebens wurden wir weder als Gewinner noch als Verlierer geboren, sondern als Wahlberechtigte. Wir wählen unsere Gedanken. Wir wählen, wie wir unsere Gefühle bewerten und welche Macht wir ihnen in unserem Leben geben. Es ist nicht immer einfach, Gefühle zu hinterfragen, aber niemand hat uns versprochen, dieses Leben wird ein Parkspaziergang. Dazu passen die Worte von Buddha:

 

Wir sind, was wir denken.

Alles, was wir sind, entsteht aus unseren Gedanken.

Mit unseren Gedanken formen wir die Welt.

 

Bevor ich Selbstachtung finden kann und mich selbst respektvoll behandeln kann, muss ich mich zunächst auf die Suche nach den gesunden Anteilen meiner Persönlichkeit machen und diese wertschätzen, gleichzeitig die "kranken" Anteile liebevoll annehmen, meine Einzigartigkeit verstehen und so lernen, authentisch zu sein.


Selbstliebe auf den Punkt

 

 

 

Charlie Chaplin hielt an seinem 70. Geburtstag, dem 16. April 1959, eine Rede voller Weisheit. Der reichhaltige Erfahrungsschatz seines Lebens gewährte ihm tiefgehende Einblicke in die menschliche Psyche.

 

Als ich mich selbst zu lieben begann

Als ich mich selbst zu lieben begann,
habe ich verstanden, dass ich immer und bei jeder Gelegenheit,
zur richtigen Zeit am richtigen Ort bin
und dass alles, was geschieht, richtig ist –
von da an konnte ich ruhig sein.
Heute weiß ich: Das nennt man VERTRAUEN.

Als ich mich selbst zu lieben begann,
konnte ich erkennen, dass emotionaler Schmerz und Leid
nur Warnungen für mich sind, gegen meine eigene Wahrheit zu leben.
Heute weiß ich: Das nennt man AUTHENTISCH SEIN.

Als ich mich selbst zu lieben begann,
habe ich aufgehört, mich nach einem anderen Leben zu sehnen
und konnte sehen, dass alles um mich herum eine Aufforderung zum Wachsen war.
Heute weiß ich, das nennt man „REIFE“.

Als ich mich selbst zu lieben begann,
habe ich aufgehört, mich meiner freien Zeit zu berauben,
und ich habe aufgehört, weiter grandiose Projekte für die Zukunft zu entwerfen.
Heute mache ich nur das, was mir Spaß und Freude macht,
was ich liebe und was mein Herz zum Lachen bringt,
auf meine eigene Art und Weise und in meinem Tempo.
Heute weiß ich, das nennt man EHRLICHKEIT.

Als ich mich selbst zu lieben begann,
habe ich mich von allem befreit, was nicht gesund für mich war,
von Speisen, Menschen, Dingen, Situationen
und von Allem, das mich immer wieder hinunterzog, weg von mir selbst.
Anfangs nannte ich das „Gesunden Egoismus“,
aber heute weiß ich, das ist „SELBSTLIEBE“.

Als ich mich selbst zu lieben begann,
habe ich aufgehört, immer recht haben zu wollen,
so habe ich mich weniger geirrt.
Heute habe ich erkannt: das nennt man DEMUT.

Als ich mich selbst zu lieben begann,
habe ich mich geweigert, weiter in der Vergangenheit zu leben
und mich um meine Zukunft zu sorgen.
Jetzt lebe ich nur noch in diesem Augenblick, wo ALLES stattfindet,
so lebe ich heute jeden Tag und nenne es „BEWUSSTHEIT“.

Als ich mich zu lieben begann,
da erkannte ich, dass mich mein Denken
armselig und krank machen kann.
Als ich jedoch meine Herzenskräfte anforderte,
bekam der Verstand einen wichtigen Partner.
Diese Verbindung nenne ich heute „HERZENSWEISHEIT“.

Wir brauchen uns nicht weiter vor Auseinandersetzungen,
Konflikten und Problemen mit uns selbst und anderen fürchten,
denn sogar Sterne knallen manchmal aufeinander
und es entstehen neue Welten.
Heute weiß ich: DAS IST DAS LEBEN !


Übung "Fairer Blick"

Der faire Blick auf uns selbst ist die Suche nach der Loyalität uns selbst gegenüber.

 

Charles Dickens, Verfasser von "Oliver Twist", dem Waisenjungen im England des 19. Jahrhunderts, hinterließ uns die Erkenntnis: "

In der kleinen Welt, in welcher Kinder leben, gibt es nichts, dass so deutlich von ihnen erkannt und gefühlt wird, als Ungerechtigkeit." Und es ist dieses Feingefühl gegenüber Ungerechtigkeiten, die ich bei Borderline-Betroffenen immer wieder feststellen durfte. Wenn es Borderline-Tugenden gibt, gehört Fairness dazu.

 

Gerade da Borderline-Betroffene so oft keine gerechte und faire Kindheit hatten, ist die Frage wichtig: "Bin ich im Hier und Jetzt fair zu mir? Zu dem kleinen Kind von damals? Bin ich gerecht?" Und es hilft manchmal, sich selbst als imaginäres Gegenüber zu sehen und sich damit im Außen zu beurteilen. "Wenn dieser Mensch nicht ich wäre, würde ich ihn dann so beurteilen?"

Übung "Frust ausbalancieren"

Die Balance finden heißt ein Gegengewicht setzen, die Waage in eine Linie zu bringen.

 

Es heißt also gerade dann, wenn alles auf mich einstürmt, mein Leben scheinbar in die Gosse gespült wird, vor die Hunde geht, an die Wand gefahren wird, dann brauche ich am dringensten ein Gegengewicht, einen Anker, der mich in der Geraden hält.

 

ich war selbst in schweren Krisen und weiß, das letzte, was man genau dann möchte und sich vorstellen kann, ist der kurzfristige Ausstieg, es sich gut gehen lassen, sich belohnen.

 

Aber irgendwo muss man mit den guten Momenten ja mal anfangen. Es ist wie bei einem Aufstieg auf einen 5.000er. Man schafft es nicht in einem Durchgang. Und so anstrengend der Aufstieg ist, man darf auch zwischendurch immer mal einen Blick in die Umgebung werfen, sein Butterbrot essen und sich darüber freuen, was man bereits geschafft hat.

 

Wir dürfen aussteigen. An jedem Punkt. Uns die Auszeit nehmen. Das ist manchmal nur der kurze Gedanke an Menschen oder Dinge, die uns Freude bereiten, das kann auch eine gute Tasse Tee sein oder tatsächlich ein Wellnesstag im Schwimmbad. An diesen gedanklichen und realen Orten schöpft man wieder Kraft.

Übung "Gegen Glaubenssätze handeln"

Über Glaubenssätze habe ich bereits etwas geschrieben und auch, wie schwer sie zu überwinden sind, wie schwer sich neue schaffen lassen.

 

Es ist also eine Übung, die braucht viel Vorbereitung, nämlich in der Achtsamkeit und Beobachtung diese Glaubenssätze erst einmal herausfinden und sich dann ganz bewusst dafür zu entscheiden, einen anderen Weg zu gehen.

 

Es gibt auch kleine Glaubenssätze, mit denen man anfangen kann. Das war für mich zum Beispiel immer, dass ich schlecht im Small Talk bin. Also erzähle ich jetzt immer der Bäckersfrau, wie toll ihr Brot ist, wie schön die Kuchenauslage wieder aussieht, dass der Laden heute ungewöhnlich leer ist. In der Tat sind meine Versuche oft etwas holprig. Aber mir ist aufgefallen, dass man bei Verkäufern häufig einem Profi in Small Talk gegenüber steht. Die wissen dann schon, was zu tun ist. Und ich nehme immer mehr die kleinen Tricks wahr, die es da gibt. Im Zweifelsfall kann man immer über das Wetter reden.