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Scrabbelst du schon oder skillst du noch?

 

Scrabble kann ein hervorragender Skill sein. Man versucht durch das Legen von Buchstaben zu Wörtern möglichst viele Punkte zu sammeln. Und je dichter das Feld wird, umso kreativer muss man beim Zusammenstellen der Klötze sein. Karusselgedanken machen dabei gerne mal eine Pause.

 

DBT ist auch nur ein Spiel

 

Obwohl ich wortaffin bin, findet dieses Spiel erst jetzt seinen Weg in mein Leben und zeigt sich gleich als hervorragender Lehrmeister. Auf der Suche nach etwas Ablenkung von trüben Gedanken bin ich im Handy auf eine App für Scrabbles gestoßen und habe mich neugierig angemeldet.

 

Solche Spiele sind für mich eine willkommene Möglichkeit, mich auf eine Sache zu konzentrieren und dem Durcheinander an negativen Gedanken etwas entgegen zu setzen. Ich kann so am besten abschalten. (= Stresstoleranz, Skill: Ablenken)

 

Wenn es ums Ablenken geht, brauche ich etwas zum Knobeln. Es kommt den Strukturen meines Denkens am ehesten entgegen. Meine Gedankenwelt ist sprunghaft, immer auf der Suche nach Lösungen, von einer Kleinigkeit komme ich ins hundertste und dann ins tausendste. Ich bin gut darin, im Chaos (die) Muster zu finden.

 

Andere brauchen eher etwas Eintöniges wie Mandalas malen, oder auch von eins bis hundert zählen, vorwärts, rückwärts. Nach meiner Erfahrung geht es viel darum, in den eigenen "Gehirnflow" zu kommen.

 

Ich assoziiere schnell bei Wörtern. Andere können eher was mit Zahlen anfangen.  Manche kommen schnell in den Flow von Musik. Oder sie können sich auf Farben oder Gerüche einlassen.

 

Gehirnstolperer

 

Es ist keine wissenschaftliche Erkenntnis, lediglich mein eigenes Erleben. Solange mein Gehirn mit Worten arbeitet (Vokabeln lernen, Scrabbeln oder auch schreiben) fällt mir die Konzentration leicht. Es fließt von allein.

 

Bei Zahlen dagegen stolpere ich und das bringt mich aus dem Rhythmus. Soll ich im Kopf große Zahlen ausrechnen wie 8.239 minus 2.343 sagt mein Gehirn immer erst mal : "Hä?"

 

Meist bin ich an der Stelle schon gleich wieder draußen und das Gehirn schiebt lieber einfachere Gedanken hinterher: "Du, ich habe da übrigens noch ein paar Sorgen und etwas Selbsthass hätte ich auch noch im Angebot und wenn du magst, ich kann dich auch so richtig fertig machen."

 

Bei solchen Zahlenspielen komme ich in keinen Flow. Da muss ich denken und ich habe mein Gehirn stark im Verdacht, es denkt nicht gerne. Es mag viel mehr "fließen". Und wenn ich so schöne Worte habe wie Eierbecherkontrollmaschinenprüferbauer, sowas erfasse ich in einem Blick und jede Synapse in meinem Gehirn feuert ein Feuerwerk ab. Da blitzt und funkelt es nur so. Dunkle Gedanken haben kaum eine Chance. (Achtsamkeit; Skills = Wahrnehmen, Teilnehmen)

 

Skills sind wie Scrabbles-Steine

 

Über Wahrnehmen und Teilnehmen sinkt die Spannung. Damit haben wir auch den Skill "Gefühle abschwächen (Entgegengesetztes Handeln").

 

Mit den Skills ist es fast so, als würde man eine Reihe von Steinen bekommen, die man für sich zu "Worten" legt, abhängig von den entsprechenden Bedürfnissen, die man auf dem Brett (in sich) feststellt.  Man prüft, setzt zusammen, schaut, wo gibt es die meisten Punkte, welche Kombinationen ergeben eine gute Grundlage für weitere Wörter und wo zum Kuckuck kriege ich XYZ unter. Je intensiver man sich mit diesen Buchstaben auseinander setzt (nach Worten sucht, sie lernt), umso leichter fällt das Leben, um so größer der Erfolg. Die schwierigen Worte (Skills) legen sich nicht von allein. An ihnen muss man arbeiten.

 

Gefangen zwischen Ehrgeiz und Glaubenssatz

 

Achtsamkeit und Wahrnehmung sind wichtige Voraussetzungen, um zu den Tiefen der Glaubenssätze vorzudringen und mit ihnen zu arbeiten - sie zu überwinden. Glaubenssätze sind Überzeugungen, feste Einstellungen. Man kann sie auch als unterbewusste Lebensregeln definieren. In ihnen spiegeln sich frühere Erfahrungen, die unser alltägliches Leben bestimmen.

 

Mir fiel beim Spielen einer meiner Glaubenssätze auf: "Ich muss bescheiden sein."

 

Nach anfänglichem Ins-Spiel-Fuchsen, fange ich plötzlich an, Wörter zu legen, die 50 Punkte und mehr einheimsen. Bekomme ich dann beim nächsten Mal 30 oder auch nur 20 Punkte, hat der Gegner kaum mehr eine Chance aufzuholen. "Dann hat der ja schon verloren und mag gar nicht mehr mit mir spielen", gibt meine Angst zu bedenken. "Kannste doch nicht machen!" Menschen wollen immer gewinnen.

 

Ich bemerke, wie es mir schwerer und schwerer fällt, punktreiche Worte zu legen. Verlieren ist okay, verlieren macht mir nichts aus, aber so deutlich zu gewinnen ... puh, das ist gar nicht bescheiden. "Mist, schon wieder so gut. Schon wieder raffiniert gelegt", zischen die Gedanken durch mein Gehirn. Gefangen zwischen meinem durchaus vorhandenen Ehrgeiz sowie dem Stolz, auf so schöne Kombinationen gekommen zu sein und auf der anderen Seite dem Gefühl, gegen fundamentale Regeln zu verstoßen, hole ich mir beim Wegschicken fast einen Krampf in den Fingern. (Selbstwert = Skill "Gegen Glaubenssätze handeln")

 

Sei leise, sei bescheiden, tue alles, um den Anderen nicht zu verlieren! Das sind schon keine Gedanken mehr, das ist ein starker Sog, ein Handlungsimpuls, den ich verinnerlicht habe und der mir nur schwer eine Wahl lässt, mich anders zu entscheiden. Dabei reden wir hier nicht mal von real fassbaren Menschen. Man sieht von seinem Gegner nicht mehr als ein Avatar, einen imaginären Namen. Und die rauschen im Spiel so schnell vorbei, wie ich Wörter legen kann. Die Verlustangst ist so groß, dass ich eine Ablehnung nicht mal auf diesem abstrakten Level ertrage, wo man normalerweise innerhalb von drei Sekunden den nächsten Spielpartner findet.

 

Scrabble-Probleme in der Therapie

 

Um Glaubenssätze zu relativen reicht es nicht, sie aufzuspüren oder von der Logik her auszuhebeln. Solche Glaubenssätze halten tatsächlich kaum einer Logik stand. Sie sind irrational, von Ängsten getragen. Im Innen hängt ein ganzer Apparat an Vorstellungen und Sicherheitsmaßnahmen an eben diesen Vorstellungen.

 

"Warum wollen die anderen nicht verlieren?", fragt meine Therapeutin und ich merke, dass ich wieder einmal meine Gedanken wortlos hingenommen und nicht näher durchdacht habe. Ich akzeptiere die Vorstellung, der andere wolle nicht verlieren, kritiklos ...

 

"Niemand will verlieren", schmeckt selbst mir als Antwort zu fade und ich brauche mich gar nicht all zu genau damit zu beschäftigen, um die leise Stimme im Innen zu vernehmen: "Eigentlich will ich nicht gewinnen." Gewinnen passt nicht zur angestrebten Bescheidenheit, es passt auch nicht dazu, eine von der Gruppe zu sein. Das war ich als Kind nie. Nach einer sehr späten Einschulung war ich meine Schulzeit hindurch immer größer, reifer und auch ein bisschen schlauer als die anderen. "Wenn sich niemand meldet, muss ich nur ihre Tochter fragen", sagte ein Lehrer mal zu meiner Mutter.

 

Besser sein heißt, anders sein, heißt Ausgrenzung. Und aus dieser Erfahrung wurde ein Glaubenssatz: Immer wenn ich schlauer bin, dann grenze ich mich aus!

 

Immer wenn ... dann - gehört ins Repertoire der Angst. Sie scannt Erfahrungen und leitet daraus Folgen ab. Wie oft sie dabei daneben liegt, kalkuliert sie nicht ein.

 

Ich weiß, was du letzten Sommer gedacht hast

 

Scrabbles ist für mich ein spannendes Spiel. Ich habe Spaß beim Spielen. Es lenkt mich ab. Ich kann darin versinken. Natürlich ist es besonders reizvoll, mit erfahrenen Spielern am Start zu sein, von denen man eine Menge Strategien lernen kann.

 

Dass andere genauso auf der Suche nach Abwechslung sein könnten, dass sie ebenso nicht aufs Gewinnen sondern eher aufs Spielen aus sind, solche Schlüsse liegen nicht auf den gewohnten Pfaden meiner Gedanken. Diese Richtung muss ich mir neu antrainieren. Die Angst geht gewohnte, einfache Pfade. Wir müssen uns durch den Dschungel durchschlagen, neue Erfahrungen sammeln.

 

Sich in andere hineindenken, mitdenken, die Gedanken erraten, Gefühle erspüren, das ist so ein Borderline-Ding. Frei nach dem Filmtitel "Ich weiß, was du letzten Sommer gemacht hast", wissen Borderline-Betroffene, was das Gegenüber letzten Sommer gedacht hat. So jedenfalls kommt es einem manchmal vor. Und dann vergisst man, dass Wissen oft trügerisch ist und hinterfragt werden sollte.

 

Weder weiß ich, was der andere denkt, noch muss ich darüber meine eigenen Bedürfnisse vergessen!

 

Ich kann und darf mein Bestes geben. Und dann loslassen. Wenn ein anderer nicht damit zurecht kommt, dass ich gerade 86 Punkte mit einem Wort aus drei Buchstaben abgeräumt habe (mein bisheriger Highscore), dann darf der das. Dann darf er gehen. Ich darf mich trotzdem über meinen Erfolg freuen. Sogar dann, wenn die Angst anderer Meinung ist.

 

An diesem kleinen Punkt einfach mal gegen die Glaubenssätze handeln, tatsächlich nur mal ein Wort mit 80 Punkten wegzuschicken, das sind erste kleine Schritte auf dem Weg ins neue Leben. Ich lasse es einfach mal drauf ankommen, schaue, wie der andere reagiert und was passiert, wenn ich in einem Zug so weit voranpresche, dass es kaum mehr aufzuholen ist. Da kann und darf ich mutig sein, mich auf Erfahrungen einlassen. Ich kann mir erlauben, authentisch zu sein, nicht gegen mich zu kämpfen, sondern das Beste zu geben und los zu lassen. So hat mein Mut mir gezeigt, dass mir noch niemand das Spiel aufgekündigt hat. Scheinbar suchen also auch die anderen vor allem eine Herausforderung, den Spaß -  und nicht den Gewinn.

 

Meine Gedankenlesefähigkeiten sind doch nicht so ausgefeilt, wie meine Angst glaubt.

 

Zwischenmenschliche Fertigkeiten

 

Für mich haben Skills mit Leichtigkeit zu tun, damit, anderen und mir selbst mit weniger Angst und Erwartungen zu begegnen. Dabei gehören zwischenmenschliche Fertigkeiten zu den Skills, die bereits eine gute Grundlage an Achtsamkeit und Stresstoleranz brauchen.

 

Achtsamkeit = Es fällt mir schwer, Gewinnerwörter ins Spiel zu schicken.

 

Stresstoleranz = Ich schaffe die innere Ruhe und Distanz, um meinen Ängsten begegnen zu können.

 

Folgende Skills haben bei meiner Auseinandersetzung mit Scrabbles eine Rolle gespielt:

 

Orientierung auf das Ziel: Wie wichtig ist dieses Ziel?

 

Orientierung auf die Beziehung: Wie wichtig ist die Beziehung?

 

Orientierung auf die Selbstachtung (FAIR): Wie möchte man sich vor und nach der Begegnung fühlen?

 

Das Ziel: Was möchte ich beim Spielen erreichen? Wirklich gewinnen oder einfach genießen?

 

Die Beziehung: Brauche ich, um das Spiel genießen zu können, wirklich ausgerechnet diesen einen Spielpartner?

 

Die Selbstachtung: Wenn ich fair mit mir selbst bin, erkenne ich, dass meine Angst gegen meinen Ehrgeiz ins Feld zieht. Fühle ich mich gut dabei, wenn die Angst gewinnt? Muss (sollte) ich ihr immer den Vortritt lassen?

 

Fazit: Ich will das Spiel genießen. Ich kann das mit jedem Spielpartner, der mich einlädt oder den ich einlade, so lange das Spiel eben dauert. Und meine Angst hat selten genug mit ihren Voraussagen richtig gelegen. Also wage ich etwas Neues.

 

Veränderungen in kleinen Dosen

 

Neues ausprobieren, andere Wege gehen, das ist durchaus erschreckend. Aber nur so öffnet man sich für neue Erfahrungen und damit für Veränderungen. Und eine Veränderung in meinem Leben ist es, dass ich das Spiel genieße und meine Leistung anerkennen kann.

 

Das ist der Punkt, an dem ich Selbstvertrauen sammeln und mich größeren, schweren Situationen stellen kann. Solche Erfahrungen arbeiten in der Psyche. Man sammelt kleine Mosaiksteinchen an Mut, um sich zukünftig immer häufiger der Angst mit guten Argumenten entgegen stellen zu können und auch mal "Nein" zu sagen. Und da, wo wir unserer Angst so begegnen können, setzen wir die Voraussetzungen für den nächsten Skill: "Nein sagen, ohne seine Selbstachtung zu verlieren."

 

Meine Angst sagt mir nie: wow, der freut sich echt mit dir zu spielen, der sucht die Herausforderung. Für den bist du eine tolle Gegnerin. Warum eigentlich nicht? Warum tauchen nicht mal Gedanken auf, die sagen: Hey, du bist eine Bereicherung? Die Welt wartet auf dich!

 

Ach ja, da war doch was ... erinnern Sie sich an Karlsson vom Dach?

 

Ich bin zumutbar!

 

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