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Ich bin dann mal "machbar"

 

Hätte man mir vor einem Jahr gesagt, dass ich irgendwann üben werde, eine "Zumutung" zu sein, mein Spott wäre ihm sicher gewesen! So viel eigenes Sein im Hier und Jetzt - da laufen alle Tabus in meinem Inneren gleichzeitig Amok.

 

Das geht doch nicht! Ich kann doch keine Ansprüche stellen. Lästig sein. Fordernd und womöglich auch noch gedankenlos sein.

 

 

Die weltbeste Zumutung

 

"Held des Alltags" ist ein Skill, der mich besonders anspricht und den ich mir immer schon gerne zu eigen gemacht habe, lange bevor ich wusste, dass sich diese Eigenschaft "Skill" nennt. - Ich will das auch können, so herzlich lachend selbstbewusst zu spät kommen können wie die Ärztin. Ich will das auch können, so munter drauf losplappern, unbeschwert smalltalken wie die Bäckersfrau. Ich will das auch können, so selbstverständlich meinen Platz auf der Couch behaupten wie mein Kater. 

 

Momentan ist mein Held des Alltags sozusagen "die weltbeste Zumutung", nämlich der Karlsson vom Dach. Kennen Sie Karlsson? Den weltbesten Streichemacher? Wer anderes als Pippi Langstrumpf Schöpferin Astrid Lindgren hätte diesem dicken Mann mit dem Propeller auf dem Rücken Leben einhauchen können?

 

Ich bin ein schöner

und grundgescheiter

und gerade richtig dicker Mann

in meinen besten Jahren

und der beste Karlsson der Welt

in jeder Weise!

 

Ich will das auch können, nichts besseres zu tun zu haben, als der beste Karlsson der Welt zu sein - in jeder Weise!

 

Zumutung für Fortgeschrittene

 

Eigentlich ist Karlsson in seiner oft überschäumenden Ich-Bezogenheit und Egozentrik das "Sinnbild für Zumutung". Und doch ist es gerade diese Grenzenlosigkeit, die es ihm mit Leichtigkeit erlaubt, direkt ins Herz der Leser zu stapfen. Der traut sich was, dieser Karlsson vom Dach. Und man weiß eigentlich nie so recht, ist er schrecklich nervig oder doch eher - wie Karlsson sagt -, "der beste, netteste, lustigste und überhaupt fabelhafteste Freund von der Welt"? (Und muss man sich da überhaupt entscheiden?)

 

Als der grundgescheite, gerade richtig dicke Mann im Kinderzimmer von Lillebror mit einem fröhlichen "Heißa Hopsa" landet, gerät das Leben des Jungen fortan gehörig aus den Fugen. Aus einem "nein, Karlsson, nein" macht der Propellerkerl nämlich in steter Regelmäßigkeit ein "ja, Karlsson, ja!". Eine kaputte Dampfmaschine kann unmöglich ein Weltuntergang sein, weil "oi, die ist wahrhaftig explodiert!". Und dabei leuchten seine Augen so wunderbar, dass man ihm einfach verzeihen muss. Immerhin, er ist doch der weltbeste Dampfmaschinenexplodierlasser!

 

Unser Karlsson hat einen unglaublichen Hang zur Selbstüberschätzung und ist unübertroffen egoistisch, gierig, leichtsinnig, unverschämt; um nur ein paar seiner besten Eigenschaften zu nennen. Karlsson ist die pure Herausforderung und ganz sicher ist er die weltbeste Zumutung! Trotzdem kann man dem kleinen dicken Mann mit dem großen Herzen nie lange böse sein, bringt er doch eine Menge Spaß ins Leben seiner Mitmenschen. Wen interessieren seine zahlreichen Fehler? Karlsson ist unübertroffen der weltbeste Freund!

 

In der Mitte sitzt der Mut

 

Das Wort Zumutung, heute beinahe ein Synonym für Frechheit, entwickelte sich aus einer ältere Bedeutung von "Mut" und meinte „ein Ansinnen an jemanden richten“. Im Ursprung ist der Begriff also wertneutral.

 

Wenn man in allem der Weltbeste ist, der der staunt, der lebt, mit vollem Herzen dabei ist, warum sollte man sich dann um die Reaktion der anderen kümmern? Er hat den Mut, ganz er selbst zu sein. Seine Ansinnen an die Welt mögen der Realität oft "ent-rückt" sein, aber sie sind nie dem Karlsson "ent-rückt". Er verbiegt sich nicht, bleibt ganz bei sich. Er ist einfach das, was er am besten kann, der beste Karlsson der Welt - in jeder Weise.

 

Karlsson interessieren die Meinungen seiner Mitmenschen über ihn nicht, denn er ist in seinem Selbstbild so gefestigt und stabil. Er fühlt sich pudelwohl, ist von sich ganz und gar überzeugt, dass es keinen Zweifel gibt. Karlsson ist überhaupt der beste Karlsson-Einschätzer der Welt. Besser als Weltbester geht nicht. Es wäre ein Affront, wenn sich dieser weltbeste Karlsson klein machen würde, verbiegen würde, wenn er nicht mehr der einzig wahre Karlsson wäre. Und so muss eben jeder für sich entscheiden, ob eine Freundschaft mit dem weltbesten Karlsson für ihn "machbar" ist.

 

Es klingt ein wenig simpel, hat aber doch am Ende eine große Wirkung. Karlsson muss sich nicht machbar machen, weil er bereits machbar ist.

 

Mein Ich auf dem Weg von denkbar zu schaffbar

 

Bin ich machbar? Kann man das schaffen, mit mir befreundet zu sein? Auch wenn ich mich nicht verbiege, anpasse, in Vorleistung gehe? Was sind die Anteile in mir, die mich liebenswert machen? Die mich wertvoll machen? 

 

Ich war achtsam mir gegenüber in den letzten Jahren. Ich habe beobachtet. Protokolle geführt. Ich hatte das Vergnügen, mich selbst kennen zu lernen. Gestatten, ich bin ein Mensch mit tollen Fähigkeiten. Ich kann zuhören und gewinne schnell das Vertrauen meiner Mitmenschen. Ich mag meinen Humor und wie mein Verstand funktioniert, wie er sich mit der Wärme des Herzens verbinden kann. Ich mag vieles an mir, diese ganzen Eigenschaften, mit denen ich anderen "Mut bringen kann". Mich zu-mut-en kann.

 

Ganz unverblümt ICH

 

Astrid Lindgren schrieb "Karlsson vom Dach" 1955. Ob die Verlage heute noch sagen würden: "Das nehmen wir, das drucken wir!"? Darf Karlsson vom Dach heute noch Held des Kinderzimmers sein? So lebendig, sorgenfrei, so lebenskräftig bunt, quirlig, so keck und herausfordernd? So anstrengend, so eine Zumutung? Oder wäre es heute einfach nur noch die Geschichte eines ADHS-Kindes auf dem Weg zum Therapeuten?

 

Für uns darf Karlsson vom Dach Held des Alltags sein. Weil ich so verdammt gut "ICH" sein kann, überhaupt das weltbeste "ICH" bin, übe ich Anforderungen zu stellen, meine Erwartungen zu vermitteln und meine Ziele zu vertreten. Ich übe, meinen Raum einzunehmen und ganz sorglos meinem weltbesten Ich zu erlauben, mitten im Lebensstrudel zu tanzen.

 

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